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A Positive Utopia - Interview mit Jörg Ganzhorn
Mär 06, 2023 | geschrieben von: Treedom
A Positive Utopia:
Wie könnte unsere Zukunft aussehen, wenn wir jetzt aktiv werden?
Die Klimakrise ist eine reale Bedrohung, ihre Auswirkungen können wir alle nahezu jeden Tag in unserem Alltag spüren. Ist es also schon zu spät, etwas gegen den Klimawandel zu tun, ihn aufzuhalten? Bei Treedom glauben wir das nicht! Auf Basis wissenschaftlicher Daten und Beiträgen internationaler Wissenschaftler:innen aus verschiedenen Bereichen zeigen wir, wie sich unser Planet in fünf, zehn oder 50 Jahren positiv verändern könnte. Vorausgesetzt natürlich, dass wir jetzt aktiv werden und Maßnahmen ergreifen. In einer Zeit der Energiekrise, des Verlustes der biologischen Vielfalt und des Krieges geben wir einen positiven Ausblick, verbreiten Hoffnung und inspirieren die Menschen, etwas für ihre eigene Zukunft zu tun, indem sie ihren kleinen Beitrag zu einem grüneren und besseren Planeten leisten.
Im Teil unserer Reihe "Positive Utopie" sprechen wir mit Prof. Jörg Ganzhorn. Jörg Ganzhorn studierte von 1976 bis 1985 Zoologie, Pflanzenphysiologie, Mikrobiologie und Geographie an der Universität Tübingen, der Duke University und der Michigan State University. Anschließend promovierte er und wurde Postdoc in Tübingen in der Abteilung Verhaltensphysiologie. 1993 wurde er Leiter des Bereichs Ethology and Ecology am Deutschen Primatenzentrum in Göttingen und Maître de Conférence an der Université d’Antananarivo, Madagascar. Nach einer Vertretungsprofessur für Ökologie an der Universität Marburg übernahm er 1997 die Leitung der Abteilung Tierökologie und Naturschutz am Institut für Zoologie der Universität Hamburg und ging kürzlich in den Ruhestand.
"Letzten Endes muss man einfach die Verschlechterung des Bodens verhindern."
Treedom: Sie waren bis vor kurzem Leiter an der Universität Hamburg in der Abteilung für Tierökonomie und Naturschutz. Können Sie kurz zusammenfassen, wie es dazu gekommen ist?
Prof. Dr. Ganzhorn: Ich wollte schon immer Biologe oder Zoologe werden. Es hat mich interessiert, wie man Biodiversität für den Menschen nutzen kann. Dadurch erhält Biodiversität für Menschen direkt sehr viel leichter mess- und wahrnehmbare Werte, als wir es derzeit mit den abstrakten “ökosystemaren Dienstleistungen” erreichen. Mein Antrieb ist und war, dass Menschen bestimmte Dinge zum Leben brauchen. Die Produktion und Nutzung vieler dieser Dinge ist im Moment jedoch völlig daneben. Und da braucht man neue Lösungen. Wir versuchen mit den Methoden von gestern die Probleme von morgen zu lösen. Ich ging für meine Doktorarbeit an die Duke University nach Amerika. Die Duke University hat ein Primatenzentrum, das sich auf Halbaffen, also die Vorläufer von Affen, wie wir sie heute kennen, spezialisiert hat.
Wenn man Tiere in seiner Doktorarbeit in Gefangenschaft studiert, möchte man sie natürlich auch mal in freier Wildbahn erleben. Halbaffen gibt es auf Madagaskar besonders viele. Madagaskar war zu dieser Zeit sehr abgeschottet gegen Personen aus dem Ausland. Zu Beginn der 80er Jahre öffnete das Land seine Grenzen wieder und ich hatte das Glück, einer der Ersten zu sein, die in dem Land als westlicher Ausländer wieder arbeiten konnte. Vor Ort merkt man sehr schnell, dass Grundlagenforschung zwar wichtig ist, aber dass das große Ziel vor allem praktikable Möglichkeiten sind, um Pflanzen und Tiere zu schützen. Diese Lösungsansätze muss man gemeinsam mit den Menschen vor Ort unter Einbezug ihrer Vorstellungen und Bedürfnisse erarbeiten und umsetzen. So hat sich meine Laufbahn in Richtung Naturschutz und Ökologie, aber auch zur Unterstützung von Gemeinschaften entwickelt.
Treedom: Welchen Schwierigkeiten sind Sie in diesem Forschungsfeld begegnet?
Prof. Dr. Ganzhorn: Das Wetter ist die wohl größte Herausforderung bei meiner Forschung. Gerade in Madagaskar kann ein Zykon auch mal ganze Straßen wegschwemmen und schon ist ein gemachter Plan nicht mehr umsetzbar. Darüber hinaus hängt der Erfolg der Forschungsarbeit auch von den Menschen vor Ort ab. Ich habe sehr gute Erfahrungen gemacht: wenn man gemeinsam neue Lösungen erarbeitet, die wirtschaftliche und ökologische Vorteile bringen können, klappt auch die Umsetzung sehr gut. Was meine Arbeit zum Glück wenig betrifft, aber viele der Menschen in meinem Feld in der täglichen Arbeit hindert, ist die allgemeine Regierungsarbeit. Es ist entscheidend, wie aufrichtig das Interesse an Naturschutz in einer Regierung verankert ist. Häufig ist hier Nachholbedarf, gerade auch in Madagaskar.
Treedom: Welche Auswirkungen des Klimawandels haben Sie in Madagaskar feststellen können?
Prof. Dr. Ganzhorn: Für uns war es oft schwer, Veränderungen ursächlich dem Klimawandel zuzuschreiben. Beispielsweise wissen wir aus Pollen-Analysen, dass manche Bereiche von Madagaskar seit etwa 3000 Jahren austrocknen, also weit bevor die Industrialisierung eingesetzt hat. Aber wir haben jetzt sehr viele Anzeichen dafür, dass der Klimawandel diesen Prozess verstärkt. Auf der anderen Seite ist es aber so, dass die Abholzung in Madagaskar zu rasch voranschreitet, sodass der Klimawandel eigentlich keine Chance auf „Wirkung“ hat, weil die Wälder schon weg sind, bevor er greifen kann. Variables Wetter war für Madagaskar schon immer bezeichnend, Dürreperioden im Wechsel mit Wassermassen sind üblich. Aber Variabilität, Dauer und Unvorhersagbarkeit dieser Wetterlagen stellen das große Problem dar. Eigentlich kann man kaum noch planen, da diese Unwägbarkeit des Wetters auf jeden Fall, getrieben durch den Klimawandel, zugenommen hat. Das hat drastische Auswirkungen auf die Landwirtschaft und damit auch auf die Ernährungssicherheit im Land.
Treedom: Ihre Erläuterungen zeichnen ein düsteres Bild. Was können wir tun, um trotzdem nicht die Hoffnung für eine bessere Zukunft zu verlieren und den Klimawandel aufzuhalten?
Prof. Dr. Ganzhorn: Wir werden uns die nächsten Jahre mit dem Klimawandel auseinandersetzen müssen, um ihn umzukehren ist es zu spät. Das stellt viele Länder, nicht nur Madagaskar, vor große Probleme. Ausschlaggebend wird sein, dass die Degradierung von Flächen abnimmt. Rodungen und Bebauung sind dabei die problematischsten Faktoren. Ich habe erlebt, dass die Menschen vor Ort selbst merken, dass sie durch das Roden von Wäldern und flächendeckende Bebauung negative kleinklimatische Effekte auslösen. Hier ist unser Ansatz im Moment, mehr Flächen, platt gesagt, wieder grün zu bekommen. Und das in einer nachhaltigen und sinnvollen Art und Weise – also anders, als es derzeit weltweit so oft passiert. Biodiversität ist hier das Stichwort! Einfach nur Pflanzen des Pflanzens wegen hilft niemandem, weder den Menschen vor Ort noch dem Klima weltweit. Monokulturen sind und bleiben eine schiere Umweltkatastrophe, sie richten mehr Schaden an, als dass sie Mehrwert bringen.
Unsere Methode ist stark vor allem nach den Tieren ausgerichtet. Die bestehenden Restwälder sind zu klein und zu fragmentiert, um Populationen sowohl von Pflanzen als auch von Tieren zu erhalten, die langfristig überlebensfähig sind. Aus diesem Grund versuchen wir, einzelne Flecken mit Korridoren miteinander zu verbinden. Natürlich müssen die Korridore so gestaltet sein, dass die Tiere dort wirklich leben können und man gleichzeitig einen natürlichen Wald erschafft, von dem auch die Menschen profitieren können.
Treedom: Wie sieht das in der Praxis genau aus?
Prof. Dr. Ganzhorn: Wir haben in den letzten Jahren versucht herauszufinden, welche heimischen Baum- oder Pflanzenarten für Mensch und Tier am nützlichsten sein können. Ein kurioses Beispiel dazu: Die Menschen in Madagaskar benötigen dringend Holz für Särge. Für Bestattungen darf nur bestimmtes Holz zum Einsatz kommen, das hat kulturelle Gründe. Wir hätten nie erwartet, dass wir einen Faktor wie diesen in die Planung einbeziehen müssen. Also sieht unser Konzept vor, ein agroforstwirtschaftliches Ökosystem entstehen zu lassen, in dem fruchttragende Pflanzen, Gewächse, die Tieren Lebensraum bieten, aber eben beispielsweise auch Bäume für Sargholz zusammenwirken.
Treedom: Wie reagiert die Bevölkerung vor Ort auf diesen Ansatz?
Prof. Dr. Ganzhorn: Wir sind sehr viel in Schulen unterwegs und sprechen mit den Leuten vor Ort. Aufklärung und eine gemeinsame Wissensbasis schaffen sind das A und O. Gerade die Arbeit mit Kindern macht viel Spaß und hat wahnsinnig viel Potential. Gemeinsam mit NGOs setzen wir auch praktische Projekte um und zeigen schon den Kleinsten, wie vielfältig die Natur sein kann – und dass man genau das beschützen muss.
Als essentiell habe ich in der Zusammenarbeit auch wahrgenommen, dass die richtige Motivation da ist. Belehrung hilft gar nichts. Das Ganze stattdessen auf eine lockere Art und Weise gemeinsam mit den Menschen anzugehen, ist viel nachhaltiger und macht uns, aber auch den Leuten vor Ort mehr Spaß. Ich glaube auch, das Allerwichtigste dabei ist: Die Bäume sind ihre Bäume, nicht unsere. Das heißt nicht, dass die Menschen mit den Bäumen machen können, was sie wollen. Aber sie haben sie mit ihren eigenen Händen gepflanzt. Dadurch hat man von Anfang an eine ganz andere Beziehung zur Pflanze.
Treedom: Die tiefgreifenden Einblicke in Ihre tägliche Arbeit machen Mut! Lassen Sie uns gemeinsam in eine positive Zukunft blicken: wir nehmen an, Ihr Projekt läuft weiterhin erfolgreich und Sie setzen weitere kleine und große Agroforstprojekte um – wie stellen Sie sich dann unseren Planeten in 2050 vor?
Prof. Dr. Ganzhorn: Eine spannende Frage! Wir haben gerade eine Analyse der Waldentwicklung zusammen mit dem World Resources Institute durchgeführt, dabei war 2050 unser Zieldatum. Wir haben untersucht, wie sich der Wald bis 2050 in den Schutzgebieten in Madagaskar weiterentwickeln wird. Die Ergebnisse sind ermutigend: die Gebiete liefern doch so viel Schutz, dass ein Großteil des Waldes auch dann noch da sein wird. Und das in einer Größe, die ein Weiterleben von Tieren und Pflanzen mit ziemlicher Sicherheit garantiert. Aber die Flächen, die zwischen den Schutzgebieten liegen und im Moment noch bewaldet sind, werden kaum überleben. Deswegen müssen wir jetzt alles daransetzen, dass die Waldzerstörung zwischen den Schutzgebieten reduziert und damit dem Entwaldungstrend entgegengewirkt wird.
Es dauert immer zwei bis drei Menschengenerationen , bis Änderungen in der Wahrnehmung verankert sind und tatsächlich greifen. Bis 2050 stehen wir am Ende der dritten Generation, die mit Naturschutz von Anfang an aufgewachsen ist. In Madagaskar engagieren sich gerade junge Menschen für das Thema. Problematisch bleibt, dass die Finanzierung immer ein unsicherer Faktor ist, da leidet natürlich die Motivation. Ich habe aber die Hoffnung, dass bei weiterer Unterstützung von außen Wälder entstehen können, die in 30 Jahren auch die Wirtschaftlichkeit als Komponente abdecken – und dadurch die intrinsische Motivation zur Veränderung noch viel verwurzelter ist als derzeit. Ich bin zuversichtlich, dass die Menschen in Madagaskar das hinbekommen. Sie sind klug, engagiert und geniale Organisationstalente.
Treedom: Ihre hoffnungsvolle Einstellung ist eine große Motivation dafür, dass wir uns immer weiter mit Naturschutz auseinandersetzen. Was kann jede:r Einzelne von uns, auch hier in Europa tun, um einen kleinen Beitrag zu leisten?
Prof. Dr. Ganzhorn: Unsere Gesellschaft hat ein unheimliches Anspruchsdenken, was Erwartungen, Konsum und Verbrauch angeht. Das ist eine Stellschraube, an der wir sehr gut drehen können. Medikamente und Nahrungsmittel sind im Überfluss vorhanden, auch bei globalen Krisen können wir immer noch auf riesige Ressourcen zurückgreifen. Es geht nicht darum, sich einzuschränken, sondern ein bewusstes Verhalten an den Tag zu legen und sich über die Konsequenzen des täglichen Handelns Gedanken zu machen.
Deswegen finde ich Treedom und seinen neuartigen Ansatz derart genial. Wenn Treedom es tatsächlich schafft, dass mehr Bäume in Agroforstsystemen gepflanzt werden, dann ist schon sehr viel gewonnen. Denn das sind Dinge, die einzelne Leute einfach umsetzen und direkten Mehrwert generieren können. Es gibt viele Ideen, im Kleinen etwas zu bewegen. Ich glaube, es sind genau solche Maßnahmen, die die letzten Endes aufsummieren und viel Impact entstehen lassen. Aus meiner persönlichen Brille wäre es ein unfassbarer Erfolg, wenn Menschen überall genug zu trinken und zu essen hätten – und das auch planbar und zuverlässig.
Treedom: Wenn es um das Thema Klimawandel geht, ist die Diskussion oft unendlich, ja dreht sich sogar manchmal im Kreis. Was sind Aspekte, die für Sie zu kurz kommen?
Prof. Dr. Ganzhorn: Ich habe gerade beim Thema Klimawandel oft den Eindruck, dass die Politik zu großen Teilen noch nicht verstanden hat, um was es eigentlich geht. Beispielsweise wird zur Gewinnung fossiler Brennstoffe in das hochsensible Ökosystem eingegriffen – und das im Jahr 2022 in Europa? Stattdessen zeigt man mit dem Finger auf Kleinbäuer:innen und verbietet die Abholzung von Wäldern. Dieser Kontrast ist für mich absurd. Ein derart großes Defizit im Verständnis dessen, was eigentlich wichtig ist, kann ich schwer nachvollziehen. Dass wir nicht einfach so weitermachen können wie bisher – mehr, größer, weiter – ist noch nicht angekommen. Unsere Welt ist endlich und endliche Ressourcen kann man nicht mit Systemen nutzen, die auf kontinuierliches Wachstum ausgelegt sind. Dass das nicht als Richtwert in den Köpfen von Politikern wahrnehmbar ist, bereitet mir Sorgen.
Treedom: Wir erkennen in unserem Alltag den Trend, dass gerade die junge Generation, die Generation Z, eine ganz andere Einstellung mit sich bringt und sich intensiver mit dem Thema befasst. Wie nehmen Sie das wahr?
Prof. Dr. Ganzhorn: Den Willen, etwas zu verändern, gibt es schon lange. Gerade habe ich aber das Gefühl, dass er so richtig greift. Wir haben ein, zwei Generationen gebraucht, bis die Problematik wirklich angekommen ist. Hier kommt auch wieder Treedom ins Spiel: gute Ideen werden echt in die Tat umgesetzt. Man muss nicht mehr ungeduldig zusehen, ob und wie sich etwas verändert, sondern kann etwas tun. Dabei bauen die Leute auch eine Bindung zu Bäumen im Allgemeinen, also auch zum Thema Naturschutz auf – und das ist klasse. Ich sehe in Treedom eine Chance, wirklich ganz, ganz viel positiv zu verändern.