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Thermometer in der Hand: Ein Blick auf die Historie
Feb 09, 2022 | geschrieben von: Elisa Lanza
Wir haben bereits darüber gesprochen, wie neue technologische Fortschritte im Laufe der Jahrhunderte die Wissenschaftler dazu gebracht haben, die Klimadaten zu überdenken. Dank dieser neuen Techniken interpretieren Historiker nun auch einige der heikelsten Abschnitte der Menschheitsgeschichte neu: vom Untergang des ptolemäischen Königreichs in Ägypten über den Aufstieg des Römischen Reichs bis hin zum Niedergang einiger der wichtigsten Dynastien Chinas.
Vulkanausbrüche, nicht nur in Pompeji und Herculaneum
Dass Vulkanausbrüche für einige Zivilisationen im Laufe der Geschichte eine echte Katastrophe darstellten, ist nicht neu. Die Chronik über den Tod von Plinius dem Älteren [1], der in Stabiae (heute Castellamare di Stabia) an den vulkanischen Dämpfen des Vesuvs erstickte, oder über die Explosion des Vulkans Thera, der die Insel Santorin verwüstete und den Mythos von Atlantis [2] inspirierte, das sind Berichte, über die sich die meisten Historiker heute einig sind.
In den letzten Jahren wurden diese Rekonstruktionen jedoch durch weitere Theorien im Zusammenhang mit vulkanischen Aktivitäten ergänzt. Die katastrophalen Auswirkungen auf die antiken Zivilisationen scheinen nicht nur aufgrund der unmittelbaren Folgen der Eruptionen entstanden zu sein, sondern auch und vor allem wegen der mittel- und langfristigen Folgen für das Klima, die diese hatten.
Einer der relevantesten Artikel zu diesem Thema, der in der Zeitschrift Nature veröffentlicht wurde, stammt aus dem Jahr 2015. Durch die Analyse von Sedimenten in Eisproben, die in Grönland und der Antarktis entnommen wurden, fanden die Klimaforscher einen Zusammenhang zwischen einigen der größten Vulkanausbrüche der letzten 2.500 Jahre und den Perioden großer Kälte, manchmal mit Temperaturabfällen einer Dauer von bis zu 10 Jahren,
aber das ist noch nicht alles. Diese heftigen Eruptionen, die eine dicke Aschedecke über Hunderte von Quadratkilometern verteilten, sollen die Sonne verdunkelt und schwere Regenfälle verursacht haben, die zu einer weltweiten Hungersnot führten.
In einer Studie aus dem Jahr 2020 wurde einer der größten Vulkanausbrüche aller Zeiten, der des Vulkans Okmok, analysiert. Dieses katastrophale Ereignis in Alaska im Jahr 43 v. Chr. verursachte nach Angaben von Wissenschaftlern eine Klimaveränderung in der gesamten nördlichen Hemisphäre, die in einigen Gebieten des Mittelmeers zu einem Temperaturrückgang von bis zu 7 C führte. Historische Aufzeichnungen beschreiben das Jahrzehnt nach diesem Ausbruch als eine dunkle Periode, die von Hungersnöten und Epidemien sowie politischer Instabilität geprägt war und zum Untergang des ägyptischen Ptolemäerreiches im Jahr 30 v. Chr. und der römischen Republik im Jahr 27 v. Chr. führte. Der Niedergang dieser beiden bedeutenden Mittelmeerzivilisationen, der bisher mit dem Tod der beiden großen historischen Persönlichkeiten dieser Zeit, Kleopatra und Marcus Antonius (der 30 v. Chr. starb), in Verbindung gebracht wurde, wird nun in einem neuen Licht gesehen, das den Klimawandel als einen der entscheidenden Faktoren betrachtet.
Napoleon und der Vulkan Tambora
Aber dies ist nicht das einzige Beispiel. Diese Entdeckungen wecken Jahr für Jahr zunehmend das Interesse von Klimaforschern und Historikern, die Hand in Hand die Berührungspunkte zwischen Klimawandel und politischer Veränderung suchen.
Berühmt ist der Fall einer Studie aus dem Jahr 2018, die einen Zusammenhang zwischen Napoleons Niederlage bei Waterloo und dem Ausbruch eines Vulkans in Indonesien herstellt [3]. Ist das wahnwitzig? Keineswegs, denn die Regenfälle, die die Landstriche in Belgien in jenem Frühjahr 1815 unter Wasser setzten, waren außergewöhnlich und entscheidend, weil sie die Vorstöße der französischen Kavallerie einschränkten und die zerstörerische Wirkung von Artilleriefeuern neutralisierten. Die französischen Kanonen feuerten nämlich in einem niedrigen Winkel, damit die Eisenkugeln mehrmals auf dem trockenen Boden abprallen und ihre zerstörerische Wirkung verstärkten konnten. Es handelte sich um die Technik des „Abprallschusses“, auch Ricochet genannt, die jedoch aufgrund des wasserdurchtränkten Geländes nicht zum Einsatz kommen konnte, da die Kugeln nicht explodierten und im Schlamm versanken.
Die außergewöhnlichen Regenfälle waren nicht nur eine plötzliche Laune von Petrus, sondern das Ergebnis der Freisetzung von Staub und Gasen in den oberen Schichten der Atmosphäre durch den heftigsten Ausbruch, der jemals in der Geschichte aufgezeichnet wurde: der des Vulkans Tambora [4]. Letzterer befindet sich auf der Insel Sumbawa im indonesischen Sunda-Archipel, etwa 12.000 km von Waterloo entfernt. Sein Ausbruch begann am 5. April 1815 und war so heftig, dass man seine Auswirkungen noch heute erforscht.
Im November 2021 zeigte die jüngste Studie zu diesem Thema „einen systematischen Zusammenhang zwischen Vulkanausbrüchen und dem Niedergang der größten Dynastien Chinas in den letzten zwei Jahrtausenden“ und lieferte damit eine wissenschaftliche Erklärung für die Kriegs- und Hungerperioden, die in China traditionell als Zeichen der göttlichen Missgunst gegenüber dem Kaiser interpretiert werden [5].
Muss man die Geschichte umschreiben?
Dies wirft die Frage auf, ob die Geschichte, die uns in der Schule gelehrt wird und die oft anhand von großen historischen Gesichtern, Attentätern und Staatsstreichen erzählt wird, im Lichte dieser neuen wissenschaftlichen Entdeckungen nicht völlig neu überdacht werden sollte. Wie immer ist die Antwort nicht so einfach, und die Debatte ist unter den Wissenschaftlern noch nicht abgeschlossen.
Während auf der einen Seite einige wie John L. Brooke – Historiker an der Ohio State University und Autor von Climate Change and the Course of Global History: A Rough Journey – die zentrale Rolle des Klimawandels bei der Interpretation historischer Daten behaupten, gibt es auf der anderen Seite viele maßgebliche Kritiker dieses Ansatzes, die befürchten, dass er zu einer Verharmlosung der sozialen und politischen Aspekte der Geschichte zugunsten eines „Klimadeterminismus“ führen könnte.
Eines ist sicher: Unabhängig von der Rolle, die diese großen Vulkanausbrüche beim Untergang der antiken Zivilisationen gespielt haben, wird uns immer klarer, dass das Klima einen enormen Einfluss auf die Geschichte der Menschheit hat. In diesen Zeiten tut man gut daran, sich das vor Augen zu halten!
QUELLEN
- https://www.nytimes.com/2020/02/14/science/pliny-archaeology-skull-vesuvius.html
- http://news.bbc.co.uk/2/hi/science/nature/6568053.stm
- https://www.imperial.ac.uk/news/187828/napoleons-defeat-waterloo-caused-part-indonesian/
- https://en.wikipedia.org/wiki/Mount_Tambora
- https://www.thoughtco.com/the-mandate-of-heaven-195113